Datum: Mai 2020

Michael Thöne, Helena Kreuter

Vision Europe / Mai 2020 / Paper, Bertelsmann (hrsg.)

Abstract
„Das Europa, wie wir es kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizient.“ Das knappe Urteil Emma-nuel Macrons von 2017 trifft auch zu Beginn der Zwanziger Jahre unverändert zu – es trifft im Kontext einer schleppenden gemeinsamen Antwort der EU auf die aktuelle Corona-Krise besonders ins Mark. Dabei verdeutlicht die Corona-Krise die generellen Defizite in der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union – sowohl nach innen, als auch nach außen. Außenpolitisch befindet sich die Europäische Union in einer Welt, in der sie stärker und souveräner sein muss, wenn sie in der internationalen Ordnung den Platz behaupten will, der ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Selbstverständnis und ihrem ethischen Anspruch entspricht. Darüber hinaus ist Europa auch intern geschwächt. Die Formel von der „immer engeren Union der Völker Europas“ war immer schon idealistischer als die heterogene europäische Re-alität. Doch wo früher primär Widerstände gegen mehr Integration auftraten, kommt es heute zu echten Absetzbewegungen von der europäischen Gemeinsamkeit.
Europa muss sich wandeln, um in einer wandelbaren Welt zu bestehen. Europa muss nach innen stärker werden, um nach außen stark sein zu können. Dazu ist es notwendig, so der Ausgangspunkt dieses Papiers und des dahinterstehenden Vorhabens „Ein starkes Europa in einer globalisierten Welt“, eine breite und ehrliche Diskussion über Zukunftsmodelle für das gemeinsame Europa zu führen. Dabei ist die aktuelle globale Krise der öffentlichen Gesundheit einer von mehreren Politikbereichen, in denen die EU handlungsfähiger werden muss. Im Angesicht der Krise sollte man die weiteren Herausforderungen der EU jedoch nicht zurückstellen, sondern mit verstärkter Energie angehen: Auch wenn die akute Kri-senbekämpfung viel Aufmerksamkeit bindet, sind die weiteren Probleme nicht geschrumpft. Vielmehr ist ein neues und großes Problem hinzugekommen. Es gilt nun, alle Zukunftsaufgaben für Europa – vorweg Corona – unverzüglich in Angriff zu nehmen. Das Scoping-Papier versteht sich als ein erster Schritt auf diesem Weg. Es veranschaulicht die inneren und äußeren Herausforderungen, Probleme und Krisen-herde, denen sich das gemeinsame Europa stellen muss.
Die Europäische Union in ihrer heutigen Form ist diesem Aufgabenheft nicht gewachsen. In der Analyse des bisherigen Integrationsprozesses schält sich Europa gewissermaßen als föderale Idee ohne födera-len Plan heraus. Da das Ideal immer schon mehr Zuspruch erhalten hat als die konkreten Wege dorthin, verläuft die tatsächliche europäische Integration oft sehr pragmatisch, keinem „großen Plan“ folgend und aus der Situation heraus. Dieses situative Integrationsmodell ist an seine Grenzen gekommen. Ein neues Modell für Europas Zukunft muss gleichermaßen die Stärkung der Union nach innen und außen ermög-lichen wie auch konstruktiver mit den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten umgehen können. Wir formulieren eine Reihe von Prüffragen, um die Diskussion der Zukunftsmodelle von vornherein an den praktischen Anforderungen an das kommende Europa auszurichten und einen Lösungsraum umrei-ßen. Auf dieser Grundlage geben wir dann einen kurzen Überblick über die wichtigsten Modelle in der Debatte.
Das Scoping-Papier ebnet den Weg für die kommende Diskussion. Es hat nicht den Anspruch, schon Antworten oder ein von Grund auf neues Modell zu präsentieren. Das wird zur Aufgabe des weiteren Prozesses. Dieser kann sich jedoch nicht auf strukturelle Fragen beschränken. Parallel gilt es, die Poli-tikinhalte der Europäischen Union zu überprüfen. Die Betrachtung von „europäischen öffentlichen Gütern“ und von Zukunftsmodellen entspricht der Dualität von Funktion und Form. Im Lösungsraum für europäische Zukunftsmodelle müssen Form und Funktion immer zusammen gesehen werden.
Das Papier schließt mit einem Plädoyer, im Lösungsraum nicht nur „vollständige“ Zukunftsmodelle zu betrachten. Mindestens ebenso wichtig wird es sein, über einzelne Vorschläge nachzudenken (z.B. Eu-rozonen-Budget, EU-Armee, europäische Klimabank). Die Zukunftsdiskussion für Europa ist dann stärker und näher an der Reformrealität, wenn sie pragmatisch dort vorangeht, wo sich Gelegenheit bietet und die Notwendigkeit am größten ist. Ob große Würfe oder kleine Schritte ‒ Hauptsache, es geht voran. Hauptsache, mehr und mehr Menschen kommen zusammen und gehen voran für das in seinen hergebrachten Stärken und für seine neuen Herausforderungen erneuerte Europa. Das ist der Weg des Vorhabens „Ein starkes Europa in einer globalisierten Welt.“

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