Datum: Dezember 2020

Jens Bullerjahn, Michael Thöne

GIZ/ Dezember 2020/ Kurzstudie, GIZ (hrsg.) i.A. BMZ

Abstract
Die deutschen Gemeindefinanzen und die kommunalen Finanzausgleiche bilden die äußersten Verzweigungen eines Finanzierungssystems, das im föderalen Deutschland die drei staatlichen Ebenen Bund, Länder und Gemeinden miteinander verbindet und einander verpflichtet. Die Ebe-nen sind über viele Mechanismen in der Erfüllung staatli-cher Aufgaben und in deren Finanzierung verknüpft, nicht zuletzt über ein Gemeinschaftsteuersystem, an dem alle drei partizipieren. Gleichwohl können im diesem dichten Verbund, der den kooperativen Föderalismus deutschen Typs kennzeichnet, zwei Regelkreise klar unterschieden werden. Den Regelkreis auf der höheren Ebenen bildet der Bund-Länder-Finanzausgleich, der den zentralen Staat mit den 16 Ländern – drei Stadtstaaten und 13 Flächenlän-der – verknüpft. Dieses System und seine Veränderungen haben die Autoren der vorliegenden Studie im Jahr 2018 in einer ersten GIZ-Studie hinsichtlich seine Eignung untersucht, Impulse und Instrumente für die Arbeit der EZ-Partner zu geben.1Mit dem gleichen Interesse an Impulsen für die Entwick-lungszusammenarbeit untersucht die nun vorliegende Studie den zweiten Regelkreis des föderal-dezentralen Fi-nanzierungssystems in Deutschland, die Finanzierung der 11.000 selbständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in und durch die 13 Flächenländer. Grundsätzlich werden auch in diesem Bericht deutsche Mechanismen und Instrumente der öffentlichen Finanzen nicht direkt als funktional und nachahmenswert darge-stellt. Das deutsche kommunale Finanzierungssystem ist durch Entwicklungen und politische Bedürfnisse der ver-gangenen 150 Jahre geprägt. Viele Instrumente sind zuerst Antworten auf konkrete Fragen, die in einzelnen deutschen Ländern oder in ganz Deutschland gestellt worden sind. Kaum eine dieser Fragen wird in gleicher Weise heute in einem EZ-Partnerstaat zu beantworten sein. Entsprechend stellen wir die Komponenten der kommunalen Finanzen nicht als „Lösungen“ dar, sondern als Ergebnisse politi-scher Prozesse, in denen im besten Fall die leistungsfähige dezentrale Erfüllung öffentlicher Aufgaben und deren Finanzierung angestrebt werden. Aus dieser Prozessorien-tierung ergeben sich eine ganze Reihe von Anknüpfungs-punkten für die internationale Kooperation und für die Adaption von Lösungsmustern. Die Studie spricht über die öffentlichen Finanzen der Kommunen, startet aber nicht beim Geld. Einnahmen dienen Aufgaben. Wer über Kommunalfinanzen spricht, muss bei der Verteilung von Aufgaben im Staat und deren Finanzierung anfangen. Schon auf bei den öffentlichen Aufgabenmüssen wichtige Prinzipien des kommunalen Systems verwirklicht werden: Subsidiarität, Konnexität, Äquivalenz, Solidarität, Gleichwertigkeit der Lebensver-hältnisse und bündische Treue. Diese Grundsätze finden ihren Widerhall in den kommunalen Finanzen.  Die erste Säule der Finanzen der Kommunen sind eigene Steuereinnahmen, wie Grund- und Gewerbesteuer, Ge-bühren und Beiträge. Wir diskutieren ausführlich deren Entstehung, Entwicklung und Zukunft. Im Mittelpunkt steht das Wechselspiel von kommunaler Autonomie und Einbindung, das darin zum Ausdruck kommt, dass jede Gemeinde die Steuersätze ihrer Grund- und Gewerbesteu-er selbst bestimmt, in der Gesetzgebung aber Bund und Länder entscheiden. Zugleich steht seit langem fest, dass die hergebrachten Gemeindesteuern nicht ausreichen, um überall eine angemessene Finanzierung zu sichern. Deshalb werden die Kommunen seit langem an den wichtigen Gemeinschaft-steuern beteiligt, der Einkommen- und der Umsatzsteuer. Für viele Gemeinden ist diese zweite Säule, die Teilhabe am deutschen Steuerverbund, inzwischen die eigentliche Grundfinanzierung. Die dritte Säule der Kommunalfinanzierung bilden in Deutschland schließlich die kommunalen Finanzausgleiche der 13 Flächenländer. Denn auch das differenzierte und anpassungsfähige kommunale Steuersystem bietet nur den wenigsten Kommunen eine Finanzierung, mit der sie ihre gesetzlichen Pflichten ebenso erfüllen wie auch ihre demo-kratische Selbstverwaltung mit Leben füllen können. Dazu bedarf es der kommunalen Finanzausgleiche. Es sind diese Finanzierungs- und Ausgleichsinstrumente, mit denen das Ziel, kommunale Leistungen von der Aufgabe und nicht vom Gelde her zu denken, auch eingelöst werden kann. Am Anfang steht immer der „vertikale Finanzausgleich“ zwischen dem Land und der Gesamtheit seiner Kommu-nen. Hier wird den Steuereinnahmen eines Landes der Finanzbetrag entnommen, der später zur Verteilung auf die einzelnen Kommunen genutzt wird. Mit dieser Mittelauf-teilung werden die politischen Spielräume beider Ebenen bestimmt: Was die eine gewinnt, verliert die andere. Nicht zuletzt deswegen sind vertikale Finanzausgleiche regel-mäßig sehr streitbehaftet. Da die Länder als Normsetzer handeln, kommt hier dem Rechtsschutz der kommunalen Ebene vor den Verfassungsgerichten eine besonders große Bedeutung zu. Krönung und Abschluss der kommunalen Finanzierung in Deutschland bildet in jedem Flächenland der horizontale kommunale Finanzausgleich. In einigen Ländern wird dabei mithilfe von so genannten „Abundanzumlagen“ tatsächlich von Reich zu Arm umverteilt. In allen Ländern aber ist das Transfersystem primär als vertikaler Ausgleich mit horizontaler Wirkung ausgestaltet: Zuweisungen des Landes werden von vornherein nach Maßgabe der kom-munalen Einnahmenkraft erteilt. Relativ finanzschwache Kommunen erhalten viel, relativ finanzschwache wenig oder u.U. gar keine Schlüsselzuweisungen. Damit ist der abschließende horizontale Finanzausgleich die letztlich aus-chlaggebende Phase der deutschen Gemeindefinanzierung. An dieser Stelle entscheidet sich, ob die Kommunen über ausreichende Mittel verfügen, ihre Aufgaben angemessen und gleichmäßig zu erfüllen. Wenn diese Mechanismen und die dahinter stehenden Prinzipien der deutscher Kommunalpolitik und Kommu-nalfinanzierung in der Entwicklungspolitik als Anregung oder Beispiel genutzt werden können – in welcher Intenti-on und Komplexität auch immer –, erfüllt diese Kurzstu-die ihren Zweck. Die Fragen nach Dezentralisierung von politischen und verwaltungstechnischen Strukturen, dem Auf – und Ausbau von Infrastruktur, Wirtschaft, Bildung, Sozialstaat und Rechtsstaatlichkeit auf Grundlage von wachsenden, stabilen öffentlichen Einnahmen sind aus unserer Sicht in den Entwicklungsländer aktueller denn je.

 

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