Datum: September 2020

Michael Thöne, Helena Kreuter

Vision Europe / September 2020 / Paper, FiFo, Bertelsmann (publ.)

Abstract
Im letzten Jahrzehnt wurde die Europäische Union von vielen Krisen unterschiedlicher Art heimgesucht. Obwohl die Corona-Pandemie mit ihren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen zurzeit Wahrnehmung und Handeln der Politik in Europa dominiert, ist sie nur die jüngste in einer Reihe von Herausforderungen. Die be-grenzte Möglichkeit der EU, auf solche Herausforderungen zu reagieren, hat die Notwendigkeit von Reformen deutlich hervorgehoben. Das Projektvorhaben „Ein starkes Europa in einer globalisierten Welt“ schlägt vor, den Reformprozess anhand des Konzepts der europäischen öffentlichen Güter voranzutreiben. In diesem Papier erläutern wir dieses Konzept näher und veranschaulichen dessen Potenzial in der Diskussion über Zukunftsmo-delle für ein stärkeres und souveräneres Europa.
Das Konzept der europäischen öffentlichen Güter greift auf den wohlfahrtsökonomischen Begriff der öffentlichen Güter (bzw. der Gemeinschaftsgüter) zurück. In Abgrenzung zu privaten Gütern rechtfertigen öffentliche Güter eine staatliche Leistungserbringung, wenn Marktversagen in zumindest einer der folgenden Formen vorliegt: keine Rivalität zwischen den Nachfragern, kein Ausschluss einzelner Konsumenten, natürliches Monopol.
Innerhalb eines föderalen Systems können öffentliche Güter von verschiedenen Ebenen bereitgestellt werden. Die Theorie des Fiskalföderalismus bietet einen ökonomischen Ansatz für die Verteilung von Aufgaben auf unter-schiedliche Ebenen eines föderalen Staates. Angewandt auf die EU - die noch kein Bundesstaat ist, aber schon weit über den Staatenbund hinausgeht - bedeutet dies, dass ein öffentliches Gut von der zentralen Ebene bereit-gestellt werden soll wenn folgende Kriterien erfüllt sind: europaweit streuender Nutzen, europaweite räumlich homogene Präferenzen bei den Einwohner/innen der Gemeinschaft und kostengünstigste Realisierung auf euro-päischer Ebene aufgrund von Skaleneffekten. In diesem Fall sprechen wir von europäischen öffentlichen Gütern.
Die oben genannten drei Kriterien könnten allerdings in gegensätzliche Richtungen weisen und somit kein klares Argument für oder gegen die Europäisierung einer öffentlichen Aufgabe liefern. Eine Abwägungsentscheidung ist dann notwendig. Diese könnte zum Beispiel durch eine Kosten-Nutzen-Analyse unterstützt werden, die den eu-ropäischen Mehrwert eines öffentlichen Gutes berechnet, indem zunächst für jedes Kriterium die Differenz zwischen dem Nutzen der europäischen und der nationalen Bereitstellung ermittelt wird und dann die resultieren-den drei „Teil-Nettos“ zu einem „Gesamt-Nettonutzen“ zusammengezogen werden. Ein solches Verfahren entspricht nicht nur dem aus sich heraus wichtigen Anspruch, Kompetenzverlagerungen möglichst gut zu be-gründen, sondern auch dem Bedürfnis nach politischer Transparenz.
Das hier beschriebene Konzept der europäischen öffentlichen Güter geht davon aus, dass zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zunächst die richtigen Aufgabenprioritäten für den jeweiligen Zeit- und Problemkontext festgelegt werden müssen. Mehr denn je ist es heute wichtig, dass in Europa jede staatliche Ebene sich auf die öffentlichen Aufgaben konzentriert, für die sie am besten geeignet ist. In den letzten Jahren wurde das aktuelle Tätigkeitsfeld der Union verstärkt im Lichte der Theorie des Fiskalföderalismus bewertet. Da-bei ergibt sich, dass die finanziell ins Auge stechenden Handlungsschwerpunkte der EU zu sehr auf regionalen oder gar lokalen öffentlichen Gütern und zu wenig auf europäischen öffentlichen Gütern liegen.
Eine erfolgreiche Umsetzung des Konzepts verlangt darüber hinaus auch, sich mit Überlegungen zum Weg dahin auseinanderzusetzen. Aus heutiger Sicht sind vor allem drei Aspekte für die weitere Betrachtung wichtig: (i) die mit dem Schlagwort „Konnexität“ verbundenen Governance-Fragen bei der Bereitstellung von europäischen öf-fentlichen Güter in einem Mehrebenensystem; (ii) die Schaffung neuer Finanzierungsspielräume für europäische öffentliche Güter bereits innerhalb des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027; (iii) die Überwindung des vermeintlichen Tabus einer Vertragsänderungen.

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